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Junge Frau spricht mit älteren Mann am Tisch | © Steve Debenport

"Ein Leben Hart an der Grenze"

Ein Gespräch mit einem Klienten der Caritas über das Leben ohne Obdach in Corona-Zeiten 

Herr W. (Name geändert) ist 43 Jahre alt und kommt ursprünglich aus Passau. Auf Empfehlung eines anderen Klienten kam Herr W. in die „KAP“, die Wohnungslosenunterkunft der Caritas in Fürstenfeldbruck. Herr W. war verheiratet und hat zwei Kinder. Nach der Scheidung ist er in ein tiefes Loch gefallen; es folgen Probleme mit Alkohol, Drogen und Depressionen bis hin zur Obdachlosigkeit. Er war in verschiedenen Therapieeinrichtungen und hat einen langen Weg hinter sich. Er möchte unerkannt bleiben.  

Caritas: Wie schaffen Sie es, Tag für Tag mit der Armut umzugehen? 

W.: Verschiedene Anlaufstellen helfen mir, wie z.B. die KAP, P6 [P6 Neo], die Tafel, damit ich einigermaßen eine Tagesstruktur hinbekomme. Andererseits muss man sich damit abfinden, dass es eine minimalistische Angelegenheit ist, arm zu sein. Viele, die ich kenne, fangen an zu dealen, oder zu klauen. Es ist ein Teufelskreis, man kommt vom Regen in die Traufe. Das Geld fehlt, wirklich lebensnotwendige Dinge. Während der Corona-Krise hat man nicht mal mehr günstige Nudeln oder Pesto bekommen. Das Obstregal war vormittags schon leer. Die günstigen Nudeln, die früher 50 Cent gekostet haben, haben dann 2 Euro gekostet. Nachmittags gab es gar keine günstigen Lebensmittel mehr. Gott sei Dank durfte ich im Adolf Mathes Haus dann vormittags einkaufen gehen. Die haben da gut reagiert. Es ist eh schon ein Leben hart an der Grenze und es ist als Staatsbürger eine traurige Angelegenheit, dass der Staat zu wenig hilft. Es gibt keine öffentlichen sozialen Räume, wo die Menschen hingehen können, für Personen, die am Existenzminimum leben. Es gibt so viele Schicksalsschläge weshalb Menschen arm sind, von Kind auf zum Beispiel, da waren die Eltern schon in derselben Situation und es wurde so vorgelebt. Es gibt aber auch andere, die eigentlich nur in der sozialen Hängematte liegen.  

Caritas: Welche Auswirkungen hatte/hat die Corona-Krise auf Ihre Situation? 

W.: Es gibt Menschen, die schotten sich total ab, selbst mit Maske halten sie noch total großen Abstand. Bei älteren Menschen kann ich das verstehen. Es gab ja auch Ehestreitigkeiten und auch sonst viele Streitigkeiten, das habe ich auch bei vielen mitgekriegt. Ehen und Beziehungen sind kaputt gegangen. Häusliche Gewalt ist gestiegen. Ich war auch betroffen. Es ist nicht ohne, wenn man 50 Männer einsperrt. Viele haben provoziert, laut Musik gehört und sich nicht an die Ausgangsregeln gehalten. Da ist die Spannung schon gestiegen. Einige haben sich auch ins Zimmer gesperrt und total abgegrenzt. Existenzängste sind bei mir normal, aber ich kann mich auch nicht eingraben, wollte auch rausgehen. In der Hochphase von Corona war ich im Adolf Mathes Haus. Da habe ich noch Glück gehabt, weil viele Unterkünfte für Obdachlose geschlossen waren. Ich finde es persönlich etwas überzogen, denn z.B. ins P6 dürfen nur noch 5 Leute gleichzeitig rein, davon arbeitet aber schon 1 Angestellter dort. In der KAP darf man nichts mehr kochen, nur noch die Zimmer einzeln belegen. Die ganzen Umstände haben sich verändert, alle gehen mir aus dem Weg, jeder fragt, ob man Husten oder Erkältungssymptome hat. Die Leute haben Angst. Wir haben doch eh schon so viele depressive Menschen in unserem Land. Das wird der Supergau. Die Menschen sind hilfsbereit, spenden etc. Es liegt an der Politik, wie z.B. Auflagen, dass nur 5 Personen in den Tagesaufenthalt dürfen.  

Caritas: Welche Bedeutung hat es für sie arm und obdachlos zu sein?  

W.: Wie gesagt, es ist sehr minimalistisch. Man lebt von Tag zu Tag. Es ist ein einziger Kampf gegen Windmühlen. Wenn man nicht irgendwo Hilfe kriegt, wie zum Beispiel in der KAP, geht es manchen Menschen wie mir damals. Da bekommt man Depressionen, weil es irgendwann keine Perspektive gibt und man keinen Antrieb mehr hat. Es ist alles sinnlos, man fragt sich, für was man das alles macht. Man hat nur das dabei, was man tragen kann. Als Obdachloser ist man ja gezwungen zu reisen. In der KAP darf man ja auch nur 7 Nächte bleiben und nur in dieser Zeit bekommt man auch Geld vom Jobcenter. In der Corona-Krise gab es auch keine Pfandflaschen mehr, wo viele Obdachlose drauf angewiesen sind. Das Mittagessen ist in den Unterkünften der Caritas ausgefallen. Das ist eigentlich eine super Sache und sehr gefragt. Auf einmal sind etliche dagestanden, die plötzlich nichts mehr gekriegt haben. Das kann uns ja jederzeit wieder blühen.  

Caritas: Inwieweit konnte Ihnen die KAP-Beratungsstelle in Ihrer Lage helfen?  

W.: Sehr weit. Dass man nicht kochen darf ist bitter, wenn man den ganzen Tag in der Kälte war. Ansonsten ist es aber tip top hier von der Qualität und sehr professionell. In anderen Unterkünften wird viel nach Sympathie entschieden, ob jemand reindarf oder nicht. Hier in der KAP sind schon sehr qualifizierte Mitarbeiter, die sehr professionell arbeiten. Es scheitert oft an der Flexibilität. Viele Vorgaben sind nicht mehr aktuell. Da sitzt einer im Rathaus und entscheidet irgendwelche Sachen. Damit sollte man sich nicht abfinden, weil es irgendwo auch ungerecht ist. Viele schicken einen eiskalt wieder weg, bei Temperaturen bei minus 10 Grad. In einer Unterkunft von Passau bekam ich die Aussage, dass sie die Leute erst ab 15 Grad minus reinlassen müssen. In der KAP gibt es schon auch strenge Auflagen jetzt während der Corona-Krise. Es gibt ja wirklich genug hilfebedürftige Leute. Ich habe ja was gesucht und mich echt bemüht und durfte trotzdem nur 7 Nächte in der KAP bleiben. Das fand ich ungerecht. Es ist ja anders, ob jetzt jemand nur in der sozialen Hängematte liegt oder wirklich motiviert ist etwas zu ändern. Da gibt es ja solche und solche.  

Caritas: Welche Wünsche oder Ideen hätten Sie, damit Ihnen und auch anderen Menschen in Ihrer Situation noch besser geholfen werden kann?  

W.: Mehr soziale Räume für Bedürftige schaffen. Da scheitert es bestimmt nicht an der Gesellschaft, sondern da läuft viel in der Politik falsch. Es gibt auch so viele Menschen, die nicht wissen, wo sie Hilfe bekommen können, die sich so durchkämpfen. Die Stigmatisierung muss weg. Was kann einer dafür, wenn jemand einen Unfall hatte, oder wie bei mir einen Schicksalsschlag erlebt hat, wie ich mit der Scheidung, und nicht mehr zurückfindet. Viele verlieren ihren Selbstwert und ihnen ist alles scheißegal. Ich kenne das doch von mir selber. Ich fühle mich nicht wohl in meiner Situation und fühle mich unsicher. Da müsste es mehr geben wie die KAP, wo man sich Hilfe suchen kann. Es müsste alles viel flexibler werden, um den Menschen individuell zu helfen, weil die Situationen der Menschen auch ganz unterschiedlich sind. Oft wird ja alles über einen Kamm geschert.  

Caritas: Wir danken Ihnen sehr für das Gespräch.  

Interview: Lisa Weiss, Caritas Beratungsstelle und Unterkunft für wohnungslose Menschen